Geschichte

Aus einem Rechnungsbuch der Werkmaurer-Gilde in London von 1619 geht hervor, dass neben den „Freien“ („Freemen“) auch Mitglieder geführt wurden, die man „Angenommene Maurer“ („Accepted Masons“) nannte. Zu den „Freien“ gehörten damals Baukünstler („freestonemasons“), die den „freien Stein“ kunstvoll bearbeiten konnten. Neben der handwerklichen Kunstfertigkeit mussten sie als „freie Männer von gutem Ruf“ auch charakterliche Fähigkeiten mitbringen. In den Dombauhütten besaßen die „Alten Freien“ gewisse Privilegien. Sie unterlager keinen Zunftzwängen und waren weitgehend unabhängig vom regionalen Reglement. Sie waren anerkannte Spezialisten, die sich untereinander an bestimmten Zeichen, Worten und Griffen erkannten.

Die „Angenommenen Maurer“ waren berufsfremde Sympathisanten, denen das kreative lebendige Miteinander in der Bauhüttengemeinschaft gefiel. Ihnen verdanken wir die Gründung unserer Freimaurerei im Jahre 1717. Im Gegensatz zur „operativen“ Werkmaurerei widmeten sich die „Angenommenen“ der so genannten „spekulativen“ Freimaurerei. Sie übersetzten die praktische Arbeit am Bau in symbolische Zusammenhänge und formulierten aus der Baukunst den hohen Anspruch einer Lebenskunst. Den alten Werkzeugen und Bräuchen der Bauhütten ließ sich geistige, ethische und moralische Bedeutung unterlegen. Freimaurerei entwickelte sich als Symbolbund und Wertegemeinschaft. Übersetzt aus der Bauhüttentradition ist Freimaurerei die Idee des sinnvollen Bauens und Gestaltens von Zeit und Raum. Die Symbole und Rituale der Bauhüttenvergangenheit sind in dieser Ausdrucksform bis heute weltweit verbreitet unter dem Kürzel „A.F. & A.M.“. Das steht in der englischsprachigen Welt für die „Ancient Free and Accepted Masons“. Zufällig sind es die gleichen Kürzel in Deutsch. Unsere „A.F.u.A.M.“ heißt vollständig: „Großloge der Alten Freien und Angenommenen Maurer von Deutschland“.

Sie hat ihre historischen Wurzeln in den mittelalterlichen Bauhütten und steht in der Tradition der britischen Gründerväter von 1717. Dennoch ist unsere Großloge noch relativ jung an Jahren. Sie ist erst 1949 aus dem Zusammenschluss von 174 Logen aus 11 früheren deutschen Großlogen entstanden. Am 19. Juni 1949 hat sie sich als Vereinigung aller vor 1935 existierenden Großlogen, Lehrarten und Systeme in der Paulskirche zu Frankfurt am Main konstituiert. Die Geschichte der Freimaurerei in Deutschland ist keineswegs gradlinig. Seit der ersten Logengründung 1737 in Hamburg hatte sich die „Idee Freimaurerei“ in Deutschland vielfältig verzweigt. Zwischen der geselligen Form englischer Bauhüttentradition, streitbarer französischer Gesellschaftskritik und preußischem Selbstbewusstsein waren in den deutschen Landen allerlei maurerische Spielarten entstanden.

Freimaurerei war sowohl besinnlich als auch gesellig ausgerichtet, philosophisch und idealistisch, aber auch aufklärerisch und kosmopolitisch und dann wieder bürgerlich christlich gesittet. Die frühe deutsche Freimaurerei ließ sich ebenso prägen vom höfischen Adel wie vom Geist der Dichter und Denker. Sie war Hochschule des Idealismus, Sozialinstitut und moralische Instanz. Sie verschliss sich aber auch in mystischen Deuteleien und Ritterspielen fernab der Bauhüttenvergangenheit. Die konzeptionelle Zersplitterung führte zur Gründung verschiedener Großlogen, die als überregionale Organisationsform jeweils gleich gesinnte regionale Logen um sich versammelten.

Im Jahre 1949 waren 11 Großlogen bereit, ihre angestammte Identität in eine gemeinsame Großloge einzubringen und sich auf eine verbindende ideologische Leitlinie zu verständigen. Vor dem deutschen Schicksalsjahr 1933 hatten dieselben Großlogen abgegrenzt nebeneinander existiert und waren miteinander untergegangen, als die Nationalsozialisten die Logen verleumdet, verboten, zerschlagen und schließlich totgesagt hatten. Die Nazis machten keinen Unterschied zwischen Freimaurerei und Freimaurerei, und so ergab sich aus dem Untergang der zersplitterten deutschen Freimaurerei die Chance, als Einheit in der Vielfalt nach 1945 gemeinsam wieder aufzustehen.

1949 formulierten die Gründerväter das „Bekenntnis“, dass „von den alten Formen und Ritualen, dem vielgestaltigen Leben und dem eigenen Wesen früherer deutscher Groß­logen nichts untergehen darf, was über Zeit und Raum gültig zu sein verdient“, und dann schufen sie eine grundlegende Verfassung für die neue gemeinsame Großloge, in der es unter anderem heißt:

Die Großloge ist ein Zusammenschluss von Freimaurerlogen. In ihrer Bruderschaft lebt die Überlieferung früherer deutscher Großlogen fort.

In den Mitgliedslogen der Großloge arbeiten Freimaurer, die in bruderschaftlichen Formen und durch überkommene rituelle Handlungen menschliche Vervollkommnung erstre­ben. In Achtung vor der Würde jedes Menschen treten sie ein für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und für Brüderlichkeit, Toleranz, Hilfsbereitschaft und Erziehung hierzu.

Die Freimaurer sehen im Weitenbau, in allem Lebendigen und im sittlichen Bewusstsein des Menschen ein göttliches Wirken von Weisheit, Stärke und Schönheit. Dieses alles verehren sie unter dem Sinnbild des Großen Baumeisters aller Welten.

Die Freimaurer nehmen in ihre Bruderschaft ohne Ansehen des religiösen Bekenntnisses, der Rasse, der Staatsangehörigkeit, der politischen Überzeugung und des Standes freie Männer von gutem Ruf als ordentliche Mitglieder auf, wenn sie sich verpflichten, für die Ziele der Freimaurer an sich selbst zu arbeiten und in den Gemeinschaften, in denen sie leben, zu wirken.

Glaubens-, Gewissens- und Denkfreiheit sind den Freimaurern höchstes Gut.

Die Großloge und ihre Mitgliedslogen nehmen in konfessionellen oder parteipolitischen Auseinandersetzungen nicht Stellung.

Das ist heute noch Verfassungsgrundlage für über 260 Logen unserer Großloge A.F.u.A.M., darunter sind die wiedererstandenen Logen in Mittel- und Ostdeutschland, wo während der DDR-Zeit Freimaurerei nicht möglich war. Die Tradition von 11 ehemaligen Großlogen lebt mit Brauchtum und Lehrart in unserer Großloge A.F.u.A.M. von Deutschland fort. Zwei Drittel aller deutschen Freimaurer gehören zu Logen unserer Großloge, was auch heißt: Es gibt noch andere.

Fünf Großlogen sind innerhalb der „Vereinigten Großlogen von Deutschland“ freundschaftlich in gegenseitigem Respekt miteinander verbunden: Das ist neben unserer A.F.u.A.M. von Deutschland der christlich orientierte Freimaurerorden in der Großen Landesloge der Freimaurer von Deutschland, das ist die traditionsreiche Große National-Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“, die American-Canadian Grand Lodge, und das sind die British Freemasons in Germany. Die Vereinigten Großlogen von Deutschland übernehmen die gemeinsame Auslandsvertretung der in Deutschland arbeitenden Großlogen und sind zuständig, wenn es um die Gesamtvertretung der fünf Großlogen gegenüber der Öffentlichkeit geht. Jede Großloge ist jedoch souverän mit eigenem Profil aufgestellt, und es versteht sich von selbst, dass wir auch ein gutes partnerschaftliches Verhältnis zur Frauengroßloge von Deutschland pflegen.

Das Profil unserer Großloge ergibt sich aus dem Einigungsgedanken der gewachsenen Logen und Großlogen in Deutschland seit 1737, woraus eine breit gefächerte konzeptionelle und strukturelle Vielfalt mit einer weit gefassten liberalen Verfassung entstanden ist. Entsprechend der gemeinsamen Leitlinie stehen die Logen der A.F.u.A.M. zu den ethischen Werten der Würde, Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen. Wir treten ein für Menschlichkeit, friedliches und freiheitliches Miteinander aller.

Geistig wie auch menschlich aufgeschlossene Männer unterschiedlicher politischer, religiöser oder weltanschaulicher Überzeugung aus allen Gesellschaftsschichten sind uns willkommen, ob sie nun Esoteriker oder Lebenspraktiker sind, Schöngeister, Querdenker, Intellektuelle, Progressive oder Bürgerlich-Konservative, Rechte oder Linke, Gläubige oder Kirchenferne, Idealisten oder Tatmenschen oder einfach nur die Denker und Träumer einer besseren Welt. Menschen, die einander sonst fremd geblieben wären, kultivieren dieses heterogene Miteinander in den Logen. Es ist auch heute noch umso beglückender, je größer die individuelle Vielfalt an Wissen, Herzensbildung, Lebenserfahrung und Weltanschauung in der Loge ist. Das führt zum „Laut Denken mit dem Freunde“, wie Lessing das nennt.

Das führt auch zum Überdenken von Idealen und Werten, die das bessere Miteinander für eine bessere Welt meinen. Freimaurer können nicht die Welt zum Guten verändern, sie können aber gute Menschen dazu anhalten, bessere zu werden. Das ist zumindest unsere Absicht in dieser Lehr- und Übungsstätte für Menschlichkeit namens „Loge“, in dieser Wertegemeinschaft namens „Freimaurerei“.

Unsere „Idee Freimaurerei“ steht als hohes Ideal gegen die Weltwirklichkeit. Überstaatlich, überkonfessionell, philanthropisch, altruistisch, kosmopolitisch, mit offenen Herzen und offenen Sinnen. Angesichts der Weltwirklichkeit mit all ihren Konflikten ist eine solche Haltung vielleicht ein Anachronismus.

Wir alle sollten uns diesen Anachronismus leisten, denn der Gedanke der Brüderlichkeit, das Bemühen um das bessere Miteinander für eine bessere Welt, ist der wichtigste Lösungsansatz für die Probleme der Welt. Im Großen wie im Kleinen.

Wir brauchen Verbündete dafür.

Jens Oberheide
Alt-Großmeister der Großloge A.F.u.A.M. von Deutschland
aus: Humanität Nr. 1, 2009 (damals noch als Großmeister)